Validitätsoptimierung mittels Persönlichkeitstypologie der Befragten

Reine TypsacheVon Jörg Kohlbacher, Michaela Göttmann


Einleitung

Reine Marktforschung hat sich verändert. Viel Energie haben wir in den letzten Jahren in die Diskussion und Entwicklung neuer Techniken gesteckt. So wurde untersucht, ob Online- Interviews den Telefoninterviews überlegen sind. Implizite Verfahren messen Reaktionszeiten und verraten unsere „wahren“ Einstellungen. Und die Neuroforschung zeigt uns, dass unser rationales Bewusstsein keineswegs der Chef im Kopf ist. Keine Frage: Marktforschung ist technischer geworden und unsere Erklärungsmodelle komplexer. Dass dabei, kaum anders als vor 15 Jahren, nur selten mehr als die Hälfte der interessierenden Varianz erklärt werden kann, bleibt verwunderlich. Haben wir vielleicht in den vergangenen Jahren zu viel über Technik und zu wenig über Inhalte diskutiert? Auslöser für diese Überlegungen waren Studien zur Arbeitszufriedenheit. Der Befund lautet: Unzufriedene Arbeitnehmer sind auch nach einem Arbeitsplatzwechsel nicht signifikant zufriedener. Das mag im Einzelfall Folge einer individuellen Fehlentscheidung bei der Wahl eines neuen Arbeitsplatzes sein. Dies kann aber nicht das Phänomen generell erklären. Da stellen sich die Fragen: Wie sehr beeinträchtigt unsere innere Verfassung eigentlich unser Urteilsvermögen? Wie viel Realitätsbezug hat unsere Wahrnehmung überhaupt? Nun kann man einwenden, Marktforschung müsse sich traditionell mit der Wahrnehmung der Kunden und nicht mit der eigentlichen Wirklichkeit beschäftigen. Dieses Argument greift allerdings zu kurz. Hier geht es nicht nur um die bekannte Einsicht, dass letztlich nur wichtig ist, was der Kunde subjektiv für wichtig hält. Es geht auch darum, dass möglicherweise größere Teile dessen, was Befragte wahrnehmen und in Untersuchungen antworten, so gut wie nichts mit der äußeren Realität zu tun haben müssen.

 

Persönlichkeitstypen

Sind es also die Frohnaturen mit der rosaroten Brille und die Depressiven, die alles grau in grau sehen, die unsere Versuche verhageln, die Welt zu erklären, die unsere Modelle strapazieren und uns immer wieder in Erklärungsnot bringen? Das wollten wir genauer wissen und konzipierten eine Eigenuntersuchung. Als Ausgangspunkt nutzten wir ein Persönlichkeitsmodell, das sich anschickt, zum state-of-the-art der Persönlichkeitspsychologie zu avancieren: die Big 5! Vereinfacht besagt dieses Modell, dass die Persönlichkeitsstruktur jedes Menschen entlang von nur fünf Dimensionen abgebildet werden kann. Waren früher noch endlose Fragebatterien notwendig, um eine Positionierung von Personen auf den Dimensionen vorzunehmen, genügen heute einige wenige Statements für eine reliable Einordnung. Nun kann eingewendet werden, dass auch fünf Dimensionen mit jeweils nur drei Ausprägungen (hoch/mittel/tief) die erkleckliche Zahl von 243 möglichen Persönlichkeitstypen ergibt. Eine Clusteranalyse zeigt allerdings, dass im Kern nur vier „Persönlichkeitstypen“ existieren, die untereinander sehr ähnlich, aber zwischen den Gruppen sehr verschieden sind. Und tatsächlich: Zeigt man Probanden das gleiche Bild und stellt ihnen die gleiche Frage, erhält man je nach dem Persönlichkeitstypus des Befragten unterschiedliche Antworten (Abb. 1). Ergo: gleicher Stimulus, unterschiedliche Response. Ursache dafür ist der Persönlichkeitstypus.

 

Auswirkungen

Jetzt könnte man einfach zur Tagesordnung übergehen. Denn ob das Glas halb voll oder halb leer ist, hängt bekanntlich schon immer weniger von der Flüssigkeitsmenge als von der Sichtweise des Betrachters ab. Aber ganz so einfach ist das nicht. Denken wir an die unzähligen Qualitätssicherungstools, die wir mittlerweile etabliert haben. Ganze Gehalts- und Bonussysteme basieren auf der Kundenzufriedenheit. Da stellen sich die kritischen Fragen: Welcher Anteil des ermittelten Wertes hat nichts mit der Leistung desjenigen zu tun, dessen Gehalt er bestimmt? Müssen wir Antworten korrigieren, abhängig davon, welcher Persönlichkeitstyp antwortet? Und wenn ja: wie? (Abb. 2). Es steckt viel Sprengstoff in der Erkenntnis, dass unser mühsam konstruiertes Bonussystem genauso auf die Zusammensetzung der Persönlichkeitstypen in unserer Stichprobe wie auf echte Leistungsunterscheide zwischen verschiedenen Einheiten reagiert. Wie also damit umgehen? Wir sehen zwei mögliche Strategien. Einerseits kann man die Frage nach dem „Warum ist das so?“ klären. Dies ist Aufgabe der Wissenschaft und vielleicht auch der Hirnforschung. Ungeheuer spannend – aber hinter der praktischen Umsetzbarkeit steht ein Fragezeichen. Marktforscher dagegen haben die Aufgabe, dem Kunden zu helfen, Antworten auf die stets wiederkehrende Frage nach dem „What to do on Monday morning?“ zu finden.Entsprechend sehen die nächsten drei Schritte aus: Zum einen müssen wir ermitteln, wie gut sich unsere Ergebnisse mit einem Persönlichkeitskorrekturfaktor optimieren lassen. Zum anderen ist zu prüfen, ob es einen universellen Faktor gibt oder verschiedene Faktoren, die sich für unterschiedliche Fragestellungen eignen. Des Weiteren müssen wir bezüglich dieses Themas mit unseren Kunden in Diskussion treten, um tragfähige und vertretbare Lösungen für die Zukunft zu finden. Vielleicht stehen wir vor einer der interessantesten Herausforderungen der Marktforschung seit Jahren. Und vielleicht kehren wir zu einer spannenden inhaltlichen Diskussion zurück und rücken technische Fragen der Datenerhebung zugunsten der Inhalte wieder etwas stärker in den Hintergrund.

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