Demographischer Wandel als Thema für die Marktforschung.

Die Uhr ticktVon Jörg Kohlbacher, Dr. Nicolai Egloff


Einleitung

Wie wirkt sich die Veränderung der Alterspyramide in Deutschland auf die Umsatzentwicklung von Unternehmen aus? Dort wird diese Frage noch vielfach ignoriert, meinen Jörg Kohlbacher und Nicolai Egloff. Abhilfe könnte die Marktforschung schaffen.

Die entwickelten Industriegesellschaften werden immer älter. Gleichzeitig steigt der Anteil kinderloser Paare, und das Durchschnittspaar in Deutschland hat nur noch 1,4 Kinder. Aus der Alterspyramide zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Zwiebel. Bis 2050 wird diese Zwiebel dann zu einem Pilz, bei dem das obere Ende deutlich breiter ist als das untere. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass die Unsicherheit solcher weit in die Zukunft reichenden Bevölkerungsprognosen bedeutend geringer ist, als wir das aus unserer Profession kennen.

 

Unbequeme fragen und dramatische konsequenzen

Was bedeutet diese Entwicklung für die Marktforschung? Wirft nicht die Veränderung der Altersstruktur gerade für die Entscheidungsträger in den Unternehmen weitreichende Fragen auf? Was bedeutet es für das Unternehmen, wenn der Anteil der bis 49-Jährigen, die derzeit die Kernzielgruppe bilden, sichin den nächsten zehn Jahren um zehn Prozent verringert? Auf welche Veränderungen muss sich mein Unternehmen, mein Marketing aber auch meine Produktentwicklung einstellen? Was erwarten die über 40-Jährigen und über 50-Jährigen, die in wenigen Jahren die Mehrheit unserer Gesellschaft bilden? Welches Personal benötige ich, um für diesen Wandel gerüstet zu sein?

Wie selbstverständlich definiert und fokussiert das Marketing der meisten Unternehmen heute die Kernzielgruppe auf die bis 39-Jährigen oder gelegentlich noch auf die bis 49-Jährigen. Das erstaunt schon deshalb, weil es kaum mehr als eines simplen Dreisatzes bedarf, um festzustellen, wie sich der Strukturwandel auf den Unternehmensumsatz niederschlagen kann:

Angenommen, ein Unternehmen realisiert derzeit 85 Prozent seines Umsatzes mit der Zielgruppe der bis 49-Jährigen und 15 Prozent mit der älteren Generation 50plus. Das Verhältnis dieser beider Altersgruppen an der Bevölkerung beträgt 2008 in etwa 60 Prozent zu 40 Prozent. Schon bis 2020 wird sich das Verhältnis der Altersgruppen sukzessive auf 50 zu 50 verschieben. In Relation zu den ursprünglichen Anteilen bedeutet das für die hochpotente Zielgruppe der bis 49-Jährigen einen Rückgang von einem Sechstel, nämlich von 60 auf 50 Prozent, auf der anderen Seite steigt der Anteil der Generation 50plus um 25 Prozent von 40
auf 50 Prozent.

 

Zehn Prozent Umsatzeinbuße in zehn Jahren

Geht man von gleichbleibenden Bedingungen aus, bedeutet das für den Umsatz analog eine Einbuße von einem Sechstel bei der ehemals quantitativ starken Zielgruppe bis 49 Jahre und einen Zugewinn von 25 Prozent bei der bislang nicht im Fokus stehenden Generation 50plus. In Relation zum Gesamtumsatz steht daher einem Rückgang des Umsatzes von gut 14 Prozent ein Zugewinn von nur vier Prozent entgegen. Mit anderen Worten: Die Verschiebung der Altersstruktur innerhalb von nur wenig mehr als zehn Jahren führt in unserem Beispiel zu einer Umsatzeinbuße von knapp zehn Prozent.

Trotz einiger beachtenswerter Pionierstudien erfolgt bisher unserer Beobachtung nach keine wirklich konsequente Auseinandersetzung der Marktforscher und Unternehmensberater mit dem demographischen Wandel. Kein Wunder also, dass das Thema auch im Topmanagement der Unternehmen trotz prinzipiell vorhandenen Problembewusstseins noch nicht wirklich strategisch angekommen ist. Es wird eher als operatives Problem der Marktbearbeitung gesehen.

 

Aktionismus statt Analysen

Tatsächliche Analysen über Ursache und Wirkung, Bedürfnisse und Abhängigkeiten bleiben Stückwerk. Stattdessen scheint eher Aktionismus vorzuherrschen. Das Thema 50plus erschöpft sich zumeist in Form von Seniorenprodukten wie einer speziellen Unfallversicherung, einer Tagescreme für die »reifere« Frau oder Pauschalreisen in Begleitung von Pflegepersonal. Die systematische Unterschätzung der Heterogenität dieser Zielgruppe ist, gerade wenn man das heute bereits vorhandene Potenzial der Zielgruppe 50plus betrachtet, fast noch dramatischer als die oben aufgezeigte demographische Entwicklung. Allzu oft trifft man nämlich auf die Situation, dass auch eine im Prinzip gut organisierte und informierte Marktforschung nicht in der Lage ist, das heterogene Segment der Generation 50plus differenziert zu betrachten. Da fällt der mitten im Leben stehende Geschäftsführer mit Topeinkommen in die gleiche Rubrik wie der 65-jährige »Unruheständler« und der noch einmal zehn Jahre ältere und in seiner Mobilität eingeschränkte Senior. Alle sind ihrer Kategorisierung nach 50plus und fallen damit aus der Kernzielgruppe heraus.

Die Fixierung der Unternehmen auf die Zielgruppe 14-49 Jahre muss also nicht nur wegen der rein quantitativen Folgen des demographischen Wandels dringend überdacht werden. Die Zielgruppe 50plus zeichnet sich durch eine deutlich höhere und in Zukunft weiter wachsende Kaufkraft aus. Sie bleibt aufgrund kohortenspezifischer Einstellungen und Verhaltensweisen weiterhin an den bisher konsumierten Produkten und Dienstleistungen interessiert, wenn die Unternehmen sich den Besonderheiten dieser heterogenen und segmentierten Zielgruppe konsequent zuwenden. Dabei steigen die Ansprüche an Qualität und Service.

 

Differenzierte Strategien sichern die Zukunft

Um unsere Klienten beim Thema 50plus so umfassend wie möglich zu unterstützen, haben wir ein dreistufiges Verfahren entwickelt, das die betriebsinterne Marktforschung auf die oben beschriebenen Herausforderungen ausrichtet. Hierbei greifen wir auch auf die Ressourcen unseres Partner-Netzwerks »inexsu« (www.inexsu.com) zurück. Unser Ansatz besteht im ersten Schritt darin, die derzeitige Nutzung von Datenquellen zum Thema 50plus im Unternehmen mit einem Data-Usage-Index systematisch zu analysieren und zu bewerten. Ein wesentliches Ziel dabei ist es, zusätzlichen Informationsbedarf zur Generation 50plus zu identifizieren. Im zweiten Schritt werden dann die auf dem Markt verfügbaren Quellen auf ihre Relevanz für den jeweiligen Klienten untersucht und eine individuelle Datenbank 50plus aufgebaut. Fragen, die für das Unternehmen relevant sind, aus den verfügbaren Quellen aber nicht beantwortet werden können, werden in einem dritten Schritt in kundenspezifische Marktforschungsprojekte umgesetzt.

Das Bewusstsein für die Relevanz der Marktforschung beim Thema 50plus ist unseren Erfahrungen nach gerade in den höchsten Führungsebenen durchaus vorhanden. Es liegt an uns, diesen Bedarf zu erfüllen und die Wachstumschancen dieses Themas für die Branche fruchtbar zu machen.

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Research & Results 3·2008

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